Cosmic boomerang
Boomerang erforscht Big Bang
Die seit 1992 bekannten minimalen Temperaturschwankungen der kosmischen Hintergrundstrahlung ließen sich in Ballonexperimenten jetzt erstmals mit sehr hoher Auflösung messen. Die Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse darüber, wie Galaxien und Galaxienhaufen entstanden sind.
Von Georg Wolschin
Vom heutigen vergleichsweise erwachsenen Zustand des Universums aus betrachtet ist dessen frühe Kindheit ein schwieriger Forschungsgegenstand. Vor allem gilt dies für die ersten 300 000 Jahre, als es von dichtem Plasma aus Elementarteilchen mit einer Temperatur von mehr als 3000 Kelvin erfüllt war. Denn zu so frühen Zeiten konnte Licht nur ganz kurze Strecken zurücklegen, bis es wieder gestreut wurde - das Universum war ziemlich undurchsichtig. Erst als sich aus Elektronen und Kernen bei genügend tiefer Temperatur Atome bildeten und das Universum in die materiedominierte Ära überging, wurde es plötzlich Licht, weil die Photonen große Wege zurücklegen konnten - und dies bis heute noch tun.
Ein Abglanz dieses ersten Aufleuchtens durchdringt bis heute das All. Allerdings hat sich die Wellenlänge des damals ausgesandten Lichts durch die Ausdehnung des Kosmos und die damit einhergehende Dehnung von Wellen um mehr als das Tausendfache verschoben, so daß sie nun im Mikrowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums liegt. Arno Penzias und Robert Wilson haben diese so genannte kosmische Hintergrundstrahlung 1965 mit einer 20-Fuß-Hornantenne bei einer Wellenlänge von 7,35 Zentimetern zufällig entdeckt _ der bedeutendste Fortschritt in der Kosmologie seit dem Nachweis der Rotverschiebungen. Das Spektrum der Strahlung stimmt mit demjenigen überein, das ein Schwarzer Körper der Temperatur von 2,73 Kelvin aussendet. Wie insbesondere der Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) 1992 nachwies, ist die Übereinstimmung mit der Theorie so gut, daß nur wenige Labors auf der Erde in der Lage wären, ein derart akkurates Schwarzkörper-Spektrum künstlich zu erzeugen.
Darüber hinaus fand COBE jedoch auch winzige räumliche Schwankungen in der Hintergrundstrahlung (Spektrum der Wissenschaft, 6/92, S. 18): In einem Himmelsbereich entsprach das Schwarzkörperspektrum beispielsweise einer Temperatur von 2,7281, in einem anderen von 2,7280 Kelvin. Solche Fluktuationen, deren genaue Messung auch wegen Störeinflüssen aus unserer Galaxis extrem schwierig ist, zeugen davon, daß Energie und Materie im Feuerball des frühen Universums nicht völlig gleichmäßig verteilt waren, sondern geringfügige Inhomogenitäten aufwiesen.
Diese Inhomogenitäten, die kleine Schwankungen in der Massendichte reflektieren, sind von großem kosmologischen Interesse, weil sie gewissermaßen die Keime der heutigen Galaxien und Galaxienhaufen bilden; nur sie können die Entstehung der großräumigen Strukturen im Universum überhaupt erklären. Im Rahmen der Allgemeinen Relativitaetstheorie unterliegt die Materie in den etwas dichteren Bereichen einer etwas stärkeren Gravitationsanziehung und expandiert deshalb nicht ganz so schnell. Dies verstärkt den Kontrast der Fluktuationen im Vergleich zu deren Umgebung Schließlich werden sie zu Materiekonzentrationen, die unter der eigenen Schwerkraft zu Sternsystemen kollabieren können.
Wann und wie das passiert, sollte sich am Spektrum der Fluktuationen erkennen lassen: insbesondere an ihrer Stärke (der Amplitude) und daran, wie ausgeprägt sie in verschiedenen räumlichen Größenordnungen sind. Der Cobe-Satellit hatte allerdings nur eine Winkelauflösung von etwa 7 Grad _ das ist 14mal mehr als die Größe des Mondes und damit zu grob für eine genauere Analyse der Fluktuationen, die erst bei Winkeln unter 2 Grad die gesuchten anfänglichen Dichteschwankungen im Kosmos widerspiegeln.
Doch nun konnten Wissenschaftler in zwei voneinander unabhängigen Ballonexperimenten _ Boomerang (Ballon Observations of Millimetric Extragalactic Radiation and Geomagnetics) und Maxima (Millimeter Anisotropy eXperiment IMaging Array; Bild (1)) _ das Fluktuationsspektrum überraschend genau messen. Die europäisch-amerikanische Boomerang-Gruppe ließ ein Mikrowellen-Teleskop für die vergleichsweise lange Zeitspanne von 259 Stunden von einer Station in der Antarktis bis in 38 Kilometer Höhe aufsteigen (wegen der störenden irdischen Mikrowellenstrahlen ist eine Messung am Erdboden nicht möglich). Der Ballon umrundete einmal den Südpol und kehrte-Bumerang- zum Ausgangspunkt zurück. Auf diese Weise konnte das Team einen quadratischen Ausschnitt der Himmelskugel mit 11 Grad Seitenlänge untersuchen, der etwa 3 Prozent des gesamten Firmaments entspricht (Bild (2)). Die maximale Winkelauflösung betrug 0,3 Grad.
Beim Maxima-Experiment, an dem sich 13 Institute aus fünf Ländern unter Führung der Universität von Kalifornien in Berkeley beteiligten, sammelte ein Ballon über Texas zweimal für je eine Nacht Daten (Bild (3)). Die erfaßte Himmelsregion war zwar nur ein Zehntel so groß wie bei Boomerang (entsprechend dem 22fachen der Fläche des Mondes), dafür erreichte die Auflösung aber zehn Bogenminuten (1/6 Grad).
Obwohl die Experimente technisch höchst anspruchsvoll waren und völlig unabhängig voneinander ausgewertet wurden, stimmen die Ergebnisse ausgesprochen gut überein. Das wird besonders deutlich, wenn man die statistischen Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung nach Winkelgraden aufträgt (Bild (4)). In beiden Fällen ergibt sich ein deutliches Maximum bei etwa 0,9 Grad _ in einem Bereich also, der Cobe unzugänglich war und der bei früheren Ballonexperimenten noch nicht mit hinreichender Empfindlichkeit untersucht werden konnte.
Das Spektrum spiegelt gewissermaßen ein Summen im frühen Universum wieder: Die Gravitationskraft komprimiert das ursprüngliche Plasma, bis der Lichtdruck der Photonen die Bewegung umkehrt. Es kommt so zu Dichteschwingungen ähnlich denjenigen der Luft im Telefonhörer: akustischen Oszillationen. Da durch Kompression die Temperatur steigt und durch Expansion sinkt, entspricht dies den "heissen" und "kalten" Flecken im Mikrowellenhintergrund. Die Lage des Maximums _ gleichsam die Tonhöhe _ hängt wesentlich von der Massendichte des Universums ab. Der gemessene Wert von 0,9 Grad stimmt sehr gut mit den Voraussagen für ein Universum mit flachem Raum überein: Die Summe aus der Massendichte im Universum und anderer Energiedichten (die ja wegen E=mc^2 äquivalent sind), hat gerade einen kritischen Wert. Bei diesem Wert ist die Massen- und Energiedichte, die den Raum ja positiv, oder konvex, krümmt, gerade groß genug, um den negativen Krümmungseffekt der Expansion (der anfaenglich parallele Wege divergieren lässt) kompensiert. Wir wissen aus unabhängigen Abschätzungen, dass die Massendichte allein zu wenig ist, und wir geradezu gezwungen sind eine Energiedichte des Vakuums anzunehmen.
Die Gestalt des Spektrums deutet überdies darauf hin, dass die akustischen Oszillationen bereits sehr früh Wellenlängen in kosmischen Dimensionen hatten. Das lässt sich nach heutigem Kenntnisstand nur erklären, wenn das Universum kurz nach dem Urknall eine "Inflationsphase" durchmachte, wie sie Alan Guth und andere Ende der siebziger Jahre schon postulierten (Spektrum der Wissenschaft 7/84, S. 80). Demnach blähte sich das All in einer zeitlich begrenzten Phase Sekundenbruchteile nach dem Urknall exponentiell auf. Dabei erreichten winzige Quantenfluktuationen in kürzester Zeit kosmische Größenordnungen, während die Materie- und Energiedichte insgesamt jedoch "geglättet" wurde, so daß das Universum im wesentlichen homogen und isotrop (in allen Richtungen gleichförmig) erscheint.
Das Inflationsmodell sagt neben dem jetzt bestätigten ersten Maximum allerdings zwei weitere schwächere Maxima _ Oberschwingungen _ bei kleineren Winkelskalen voraus (schwarze Kurve in Bild (4)). Sie sind in den Daten von Boomerang und Maxima aber höchstens zu erahnen. Der Grund für diese Diskrepanz ist unbekannt; zu ihrer Aufklärung sind neue, noch präzisere Messungen mit höherer Winkelauflösung nötig. Tatsächlich planen die amerikanischen und europäischen Raumfahrtbehörden bereits verbesserte Experimente _ die NASA mit dem Satelliten MAP (Microwave Anisotropy Probe), dessen Start für Anfang nächsten Jahres vorgesehen ist, und die ESA mit dem Satelliten PLANCK (siehe Spektrum 6/2000 S. 9), der 2007 in eine Umlaufbahn gehen soll. Bis zu diesen hochpräzisen Resultaten, die auch Messungen der Polarisation der Hintergrundstrahlung einschließen, bleibt Raum für theoretische Spekulationen im Rahmen der diversen kosmologischen Modelle.
Auch heute noch sind nämlich keineswegs alle Fragen zum Ursprung und Anwachsen der Fluktuationen geklärt. Nach den Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie verstärken sie sich in einem flachen, materiedominiertes Universum linear mit der Expansion; das ist aber viel zu wenig, um die heutigen großräumigen Strukturen zu erklären. Einen möglichen Ausweg bietet die so genannte dunkle Materie, die aus bisher unbekannten Teilchen bestehen könnte. Die derzeit beste Übereinstimmung mit den neuen Daten zeigt ein Modell, demzufolge nur 4 bis 5 Prozent des Universums aus der uns bekannten (so genannten baryonischen) Materie bestehen, während die dunkle Materie etwa 30 Prozent ausmacht. Den fehlenden, weitaus größten Teil der kritischen Dichte liefert danach die kosmologische Konstante in Form purer Energie. Von Einstein eingeführt und dann wieder verworfen, war diese Konstante lange Zeit für entbehrlich gehalten worden. Doch insbesondere Untersuchungen an Supernova-Explosionen vom Typ Ia, aus denen sich Informationen über kosmische Entfernungen und damit die Expansionsgeschichte des Universums ableiten lassen, hatten vor zwei Jahren bereits die Existenz einer solchen "Anti- Gravitation" nahegelegt (Spektrum der Wissenschaft, 3/99, S. 38).
Man darf gespannt sein, ob dieses Modell den Ergebnissen der künftigen Experimente standhält. Wenn ja, ist als nächstes die Frage zu klären, woraus denn nun die mysteriöse dunkle Materie besteht, die entscheidend mit dazu beiträgt, daß das Universum offenbar flach ist. Soviel ist klar: Der Kosmologie stehen aufregende Zeiten bevor.
((Bild 1:)) Der Maxima (Millimeter Anisotropy eXperiment IMaging Array)-Ballon der Universität von Kalifornien vor dem Start in Texas. Wie mit dem Parallelunternehmen Boomerang (Ballon Observations of Millimetric Extragalactic Radiation and Geomagnetics) europäischer und amerikanischer Universitäten gelang es damit, die Anisotropien der kosmischen Hintergrundstrahlung sehr genau zu messen.
Quelle: "Maxima": Ballonstartbild auf der Titelseite
Bildnachweis: UC Berkeley
((Bild 2:)) Von Boomerang gemessene Fluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Quelle: Boomerang Collab./SciAm
((Bild 3:)) Anisotropien der kosmischen Hintergrundstrahlung, wie sie mit 16 Photometern an Bord des Maxima-Ballons bei Frequenzen von 150 und 240 Gigahertz gemessen wurden. Die Winkelauflösung beträgt 10 Bogenminuten (1/6 Grad).
Bildnachweis: UC Berkeley
((Bild 4:)) Fourier-Spektrum der Temperaturfluktuationen als Funktion der kosmischen Distanzen in Winkelgraden. Die Boomerang- und Maxima-Daten stimmen innerhalb der Fehlergrenzen überein. Beide zeigen ein klares Maximum bei 0,9 Grad, das Dichteschwingungen ("Schallwellen") im frühen Universum widerspiegelt. Die durchgezogene schwarze Kurve stammt von einer kosmologischen Modellrechnung. Sie zeigt weitere Maxima (Oberschwingungen) bei kleineren Winkeln, für die es in den experimentellen Daten allenfalls Andeutungen gibt.
Quelle:Wayne Hu, Institute for Advanced Study
Siehe Spektrum d. Wissenschaft 8/2000 für den vollständigen illustrierten Artikel