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Forschung Aktuell | Wissenschaft im Brennpunkt

17.11.2002 • 16:30

Perfekte Körper
Eine Reise durch die Welt kleinster geometrischer Strukturen
Von David Globig

00000-dot.gif Im antiken Griechenland war die Geometrie für das Weltbild ganz entscheidend. Man glaubte, dass die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser aus winzigen geometrischen Körpern bestehen. Heute haben wir zwar eine etwas andere Vorstellung vom Aufbau der Welt, aber auch in der modernen Wissenschaft spielen kleinste geometrische Strukturen eine wichtige Rolle. Physiker nutzen sie, um Licht auf ganz bestimmten Bahnen durch Kristalle zu leiten. Chemiker setzen aus winzigen geometrischen Einheiten Kugeln und andere Gebilde zusammen, die vielleicht eine völlig neuartige Chemie ermöglichen. Und Werkstoffwissenschaftler versuchen mit Hilfe der fraktalen Geometrie die Eigenschaften von Autoreifen zu verbessern.


Meine Damen und Herren, ich begrüße sie an Bord des Intercity Euklid und wünsche ihnen eine gute Reise. Möge keiner, der nicht der Geometrie kundig ist, hier eintreten.

Sprecher: Holla.

Sprecherin: Keine Angst, diese Mahnung galt vor rund 2.400 Jahren den Schülern der Akademie Platons. Die Geometrie war für sein Weltbild und das seiner Zeitgenossen ganz entscheidend. Platon schreibt etwa, dass die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser aus winzigen geometrischen Körpern bestehen: nämlich aus Tetraedern, Würfeln, Oktaedern und Ikosaedern. Gemeinsam mit einer fünften Figur, dem Dodekaeder, das aus 12 Fünfecken besteht, nennt man diese Gebilde auch platonische Körper.

Sprecher: Heute haben wir eine etwas andere Vorstellung vom Aufbau der Welt. Aber kleinste geometrische Strukturen spielen auch in der modernen Wissenschaft eine wichtige Rolle. Tagtäglich arbeiten die Forscher mit ihnen: in Physik, Chemie, Biologie und Werkstoffwissenschaften.

Sprecherin: 1. Das Hexagon.

Man ziehe im Kreise A B C D E F einen Durchmesser A D, verschaffe sich den Mittelpunkt G des Kreises und zeichne mit D als Mittelpunkt und D G als Abstand den Kreis E G C H; ferner ziehe man die Verbindungsstrecken E G, C G und diese durch nach den Punkten B, F, und ziehe A B, B C, C D, D E, E F, F A ...

Sprecherin: Oh je, Euklid. Ohne Stift, Lineal und Zirkel hat man ja kaum eine Chance, den Anleitungen zu folgen, die du in deinem Werk 'Die Elemente' gibst. Aber es kommt tatsächlich ein Sechseck, ein Hexagon heraus.

Meine Damen und Herren, wir erreichen jetzt Halle/Saale.

Sprecher: Am Stadtrand von Halle: das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik. Eine Form von Mikrostrukturen, mit denen sich die Wissenschaftler hier beschäftigen, sind Löcher - Milliarden winziger Löcher, die sie in Silizium ätzen.

Sprecherin: Dabei ist vor allem die Geometrie wichtig. Ordnet man solche Löcher nämlich in einer ganz bestimmten Weise an, entsteht ein sogenannter photonischer Kristall. Ein Gebilde mit erstaunlichen optischen Eigenschaften. Photonische Kristalle können die Lichtausbreitung in ihrem Inneren präzise kontrollieren. Genau diese Fähigkeit reizt Forscher wie Ralf Wehrspohn.

Ähnlich, wie man bei Halbleiter-Bauelementen heutzutage den Elektronenfluss verändert, möchte man gern das Licht kontrollieren, das Licht manipulieren, das Licht beeinflussen. Dass es teilweise langsamer wird, dass es um die Ecke geht, dass es Verstärkungseffekte gibt. Das heißt, man möchte in erster Näherung versuchen, mit dem Licht spielen zu können. Man hat den Computerchip, da sind sehr, sehr viele Millionen von elektronischen Transistoren drauf. Und man möchte oft versuchen ein ähnliches System auch für die Optik zu entwickeln.

Sprecher: Das wäre ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu optischen Computern, die statt mit Elektronen mit Photonen, also mit Lichtteilchen und damit wesentlich schneller arbeiten. Photonische Kristalle könnten solche Rechner möglich machen.

Sprecherin: Wie echte Kristalle sind auch photonische Kristalle aus Grundelementen aufgebaut, die sich absolut regelmäßig wiederholen. Sie besitzen also eine geometrische Struktur. Diese Struktur besteht aus Löchern von nur einem Mikrometer, das heißt einem tausendstel Millimeter Durchmesser. Die völlig gleichmäßige Abfolge von Silizium und luftgefüllten Löchern führt bei bestimmten Licht-Wellenlängen zu Interferenzen.

Wenn man Interferenz-Effekte haben möchte, muss man einen Kontrast, d.h. einen Unterschied zwischen der Lichtausbreitungsgeschwindigkeit haben. Silizium hat in Vergleich zu Luft eine um ein Drittel langsamere Lichtgeschwindigkeit und erzeugt somit hohe Interferenzen des Lichts.

Sprecher: Licht, das seitlich in den Kristall gelangt, wird an dessen Struktur gestreut. Je nachdem, welche Größe die Löcher haben und wie sie angeordnet sind, löschen sich dabei bestimmte Wellenlängen aus. Licht mit genau diesen Wellenlängen kann sich im Kristall also nicht fortpflanzen. Im Idealfall wird es vollständig reflektiert.

Sprecherin: Und genau hier kommt die Geometrie ins Spiel. Der Kristall funktioniert nämlich dann besonders gut, wenn jedes Loch von sechs anderen Löchern in Form eines Sechsecks, eines Hexagons, umgeben ist.

Der Grund ist einfach, dass man gerne möchte, dass in allen Richtungen des zweidimensionalen Kristalls die Interferenzbedingung immer die gleiche ist. Was bestimmt die Interferenzbedingung? Die Interferenzbedingung des Lichtes wird bestimmt durch den Abstand der Löcher und durch die Größe der Löcher. Nehmen wir mal an, dass die Löcher alle gleich groß sind, so möchte man eigentlich, dass der Abstand in alle Richtungen der gleiche ist.

Sprecher: Das ist bei einem hexagonalen Gitter der Fall. Mit einem Kristall, der kein Licht hereinlässt, können die Forscher allerdings noch nicht besonders viel anfangen. Schließlich wollen sie das Licht ja auf bestimmten Bahnen durch den photonischen Kristall hindurch leiten.

Sprecherin: Dazu müssen sie in das perfekte Lochgitter Störungen einbauen. Etwa, indem sie eine Reihe Löcher weglassen. In genau diesem schmalen Kanal kommt es nicht zur Auslöschung, hier hat das Licht freie Bahn. Nach rechts oder links kann es sich jedoch nicht ausbreiten, denn dort ist die Gittergeometrie wieder perfekt.

Sprecher: So entsteht eine Art optische Leiterbahn im Silizium, mit der man Licht ohne Verluste sogar um Ecken führen kann. Bei zweidimensionalen photonischen Kristallen, also in der Ebene, funktioniert das schon recht gut. Allerdings kann das Licht aus zweidimensionalen Kristallen nach oben oder unten 'ausbrechen'. Die Physiker wissen aber schon einen Weg, wie sie das verhindern können.

Wir arbeiten an einer mehr oder weniger einmaligen Methode, aus tiefen Löchern durch eine Modulation des Porendurchmessers nicht zwei- sondern dreidimensionale Kristalle herzustellen.

Sprecherin: Von der Geometrie her sind die komplizierter. Die Löcher sollen wie perfekt gestapelte Kugeln aussehen. Für Ralf Wehrspohn und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik eine große Herausforderung, wenn sie die Löcher in Silizium ätzen.

Typischerweise, wenn man bohrt, kann man eigentlich nur ein gerades Loch bohren. Bohrt man aber elektrochemisch, d.h. man hat Strom und Chemie, so kann man den Strom fluktuieren lassen. D.h. ich kann den Strom mal erhöhen. Und der Strom ist nun proportional zum Lochdurchmesser. D.h. was wir machen: wir variieren den Strom sinusförmig während des Ätzens und können somit die Löcher größer machen oder kleiner. Und da die Löcher wachsen in die Tiefe die ganze Zeit, ergibt sich also ein moduliertes Profil, d.h. kann man sich vorstellen wie Luftlöcher an einer Schnur aufgereiht.

Sprecherin: Bis sich mit dieser Technik tatsächlich dreidimensionale photonische Kristalle herstellen lassen, dürfte noch eine Weile vergehen.

Sprecherin: 2. Oktaeder und Pentagon - kommen natürlich auch bei Euklid vor.

Ein Oktaeder ist der Körper, der von acht gleichseitigen Dreiecken umfasst wird. Man lege den Durchmesser A B einer gegebenen Kugel hin, halbiere ihn in C, zeichne über A B den Halbkreis A D B, errichte C auf A B die Senkrechte C D und ziehe D B. Ferner lege man das Quadrat E F G H hin, dessen Seiten alle = D B ...

Sprecherin: Mann, Euklid ...

Verehrte Fahrgäste, wir erreichen Bielefeld.

Sprecher: Das Institut für Anorganische Chemie der Universität Bielefeld. Hier arbeitet Professor Achim Müller ebenfalls mit winzigen geometrischen Strukturen. Er ist einer der weltweit führenden Spezialisten, wenn es darum geht, aus einfachen Grundelementen vergleichsweise große Nano-Objekte zusammenzusetzen. Während gewöhnliche anorganische Moleküle nur eine Ausdehnung von einigen Zehntel Nanometern haben, messen seine Rekord-Gebilde gleich mehrere Nanometer.

Sprecherin: Als 'Bausteine' dienen dem Bielefelder Forscher z.B. Oktaeder aus Molybdän- und Sauerstoffatomen. Ein Oktaeder sieht aus wie eine gespiegelte Pyramide. Es zeigt also gleichzeitig eine Spitze nach oben und eine nach unten. Bei den Oktaedern, mit denen Achim Müller experimentiert, sitzt auf jeder der sechs Ecken ein Sauerstoffatom, das Molybdänatom steckt in der Mitte.

Sprecher: Um solche Einheiten herzustellen, genügt relativ simple Chemie. Und damit aus den Molybdän-Sauerstoff-Oktaedern größere Gebilde werden, man spricht auch von Clustern, brauchen die Forscher ebenfalls kaum nachzuhelfen. Die winzigen Oktaeder haben nämlich die Fähigkeit, sich unter bestimmten Bedingungen quasi von allein an ihren Ecken, Flächen und Kanten zusammenzulagern. Achim Müller und seinen Kollegen geht es allerdings nicht darum, irgendwelche zufälligen Cluster zu erzeugen.

Wir wollten eine Kugel, ein ballförmiges Gebilde synthetisieren. Und der Weg dazu führte auf Biochemie-Lehrbücher. Und man erkannte eindeutig, dass die Natur ganz gezielt so vorgeht: sie bildet sphärische Viren, indem sie mit pentagonalen Einheiten spielt.

Pentagon - Man lege ein gleichschenkliges Dreieck F G H hin, in dem jeder der beiden Winkel bei G, H doppelt so groß ist wie der bei F, und beschreibe dem Kreise A B C D E ein mit dem Dreieck F G H winkelgleiches Dreieck A C D so ein, dass ...

Sprecherin: Wie dem auch sei, die Bielefelder Wissenschaftler spielen - nach dem Vorbild der Natur - ebenfalls mit pentagonalen, sprich fünfeckigen Elementen. Die sorgen übrigens auch bei einem Fußball für die runde Form. Würde man ausschließlich sechseckige Lederteile zusammennähen, bekäme man nur eine ebene Fläche.

Sprecher: Die Forscher haben das Glück, dass ihnen Molybdän und Sauerstoff auch fünfeckige Bausteine liefern. An deren Kanten lagern sich wiederum Oktaeder an - und bilden so ein größeres Fünfeck. Damit aber tatsächlich Kugeln entstehen, helfen Achim Müller und seine Kollegen etwas nach und geben die Form durch ein sogenanntes Templat vor. In diesem Fall ist es ein kugelförmiges Ion, das die Verknüpfungen steuert und um sich herum eine kugelförmige Schale bildet.

Sprecherin: In Bielefeld sind die Wissenschaftler unter anderem daran interessiert, was im Inneren von relativ großen Kugeln passiert. Solche Kugeln lassen sich nicht mit fünfeckigen Elementen allein konstruieren. Es sind zusätzliche Abstandhalter nötig, die die Fünfecke ein Stück auseinanderschieben. Diese Abstandhalter bestehen aus Metallatomen. Da die fünfeckigen Elemente sich nicht mehr berühren, entstehen Kugeln mit 20 winzigen Öffnungen, also Poren.

Sprecher: Eine Idee ist es nun, über diese Poren etwas in die Kugeln hineinzugeben und die Öffnungen dann zu verschließen. Tatsächlich ist es den Bielefelder Forschern bereits gelungen, sämtliche Löcher in ihren Kugeln sauber zu 'stopfen'.

Man braucht also praktisch ein Substrat, was komplementär genau in den Hohlraum passt. Und dieses Substrat haben wir gefunden. Der Chemiker nennt es Guanedinium-Kation. Es gibt genau 20 Poren. Und wir waren in der Lage, 20 von diesen Substraten, die genau in den Hohlraum passen, einzufügen. Das ist also auch eine Sensation, dass praktisch 20mal an einem Gebilde Poren geschlossen werden.

Sprecher: Bislang waren die Chemiker schon zufrieden, wenn sie ein einziges Ringsystem, also EINE Pore mit einem Substrat schließen konnten. Doch die Bielefelder Forscher haben noch eine weitere Sensation zu vermelden. Kürzlich entdeckten sie, dass Wassermoleküle in der Kugelmitte eine ungewöhnliche Struktur bilden, sobald die Löcher dicht sind.

In dem Augenblick, wo ich die Poren schließe, tut sich etwas ganz Entscheidendes im Innern der Kugel. In der Art, dass jetzt die ordnende Kraft, steuernde Kraft auf die Moleküle praktisch bewirkt wird durch die hochsymmetrische Kugelschale. Und das Faszinosum dabei ist folgendes: die Wassermoleküle ordnen sich in mehreren hochsymmetrischen platonischen und archimedischen Körpern an.

Sprecher: Welche Kräfte es im einzelnen sind, die die Wassermoleküle dazu bewegen, ist den Forschern noch nicht klar. Achim Müller glaubt aber, dass die Entdeckung auch so für Furore sorgen wird. Denn das, was in der Kugel passiert, ähnelt im verkleinerten Maßstab Vorgängen in lebenden Zellen. Zellen reagieren ebenfalls auf Signale von außen mit Veränderungen in ihrem Inneren.

Sprecherin: Über die perfekten geometrischen Formen, in denen sich die Wassermoleküle in der Kugel anordnen, hätten sich die alten Griechen bestimmt gefreut.

Im Zentrum: ein Wassercluster, gebildet aus 20 Wassermolekülen in Form eines Dodekaeders. Aufgelagert praktisch ein weiteres Dodekaeder, ebenfalls natürlich gebildet aus 20 Wassermolekülen. Und aufgelagert über diesen beiden: ein komplexerer Cluster, ein sog. archimedischer Körper, gebildet durch 60 Wassermoleküle.

Sprecherin: 3. - Kugeln, Blasen und Flächenkristalle

Eine Kugel ist der Körper, der umschlossen wird, wenn ein Halbkreis, während sein Durchmesser fest bleibt, durch Herumführen wieder in dieselbe Lage zurückgebracht wird, von der er ausging.

Sehr geehrte Damen und Herren, nächster Halt ist Golm.

Sprecher: Golm in der Nähe von Potsdam. In den letzten Jahren ist hier ein Wissenschaftspark mit mehreren Forschungseinrichtungen entstanden. Seit 1999 gehört das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung dazu. Die geometrischen Strukturen, an denen hier geforscht wird, haben keine Ecken und Kanten.

Das hier ist ein Torus, der innen ein Loch hat. Und das ist eine Art gebogener Zylinder.

Sprecher: Rumiana Dimova, Wissenschaftlerin am Golmer Max-Planck-Institut, beobachtet die rundlichen Körper, unterschiedlich geformte Bläschen, mit dem Mikroskop.

Wenn sie einmal geformt sind, dann sind sie stabil. Der Formungsprozess ist nicht kontrollierbar. Es kann verschiedene Faktoren geben, die ihn beeinflussen und unterschiedliche Formen der Vesikeln verursachen. Hier haben wir eine Art Kugel. Gleich sehen Sie eine Formänderung, die durch Änderung der Temperatur hervorgerufen wird.

Sprecher: 5 Grad mehr und innerhalb von Sekunden wird ein zylindrischer Körper flacher, seine Enden biegen sich zueinander hin, berühren sich schließlich. Plötzlich sieht das Ganze aus wie ein Miniatur-Donut.

Sprecherin: Aber auch völlig andere Strukturen sind möglich. Sie erinnern etwa an Seesterne oder dicke Knöpfe.

Sprecher: Dass sich solche Körper formen können, liegt daran, dass sie aus Lipiden bestehen. Lipide sind nämlich sogenannte amphiphile Moleküle. Das heißt, sie besitzen einen wasserabstoßenden und einen wasseranziehenden Teil. Gibt man Lipide in Wasser, dann lagern sie sich so zusammen, dass nur die wasseranziehenden Teile nach außen, eben Richtung Wasser zeigen. Auf diese Weise entstehen z.B. Doppelschichten, also dünne Membranen.

Sprecherin: Die Membranen können sich wiederum zu kleinen Bläschen schließen, sogenannten Vesikeln. Und mit diesen 10 bis 100 Mikrometer großen geometrischen Körpern experimentieren Rumiana Dimova und ihre Mitarbeiter.

Wir manipulieren sie mit Pipetten. Hier sehen Sie eine Glaspipette mit 10 Mikrometern Durchmesser, eine Kapillare. Sie können die Vesikel hineinsaugen. Sie können messen, wie elastisch sie ist, wie leicht es ist, die Membran zu verformen. Wenn wir dann die Eigenschaften kennen, machen wir es komplizierter, indem wir verschiedene Moleküle in die Membran einsetzen, z.B. Proteine. Dadurch wird die Membran echten Zellmembranen immer ähnlicher.

Sprecher: Denn darum geht es den Wissenschaftlern in Golm unter anderem: sie wollen wissen, wie die komplexen Strukturen von natürlichen Membranen zustande kommen. Jede tierische oder menschliche Zelle ist in eine solche Membran eingeschlossen. Membranen unterteilen außerdem das Innere der Zellen. Und auch die Wechselwirkung von Zellen und ihrer Umgebung geschieht über Membranen. Etwa indem Vesikeln mit chemischen Botenstoffen andocken - quasi als kleine Transportbehälter.

Sprecherin: In der merkwürdigen Welt der Membranen kommen aber nicht nur Kugeln, Zylinder, Ringe und ähnliches vor. Die Formen, mit denen sich Ulrich Schwarz in Golm befasst, sind noch ein ganzes Stück komplizierter. Es handelt sich um sogenannte Flächenkristalle. Normalerweise ist ein Kristall aus Teilchen aufgebaut, also Atomen oder Molekülen, die in einem regelmäßigen Gitter angeordnet sind. Doch ein Flächenkristall besteht - wie der Name schon sagt - aus einer Fläche. Diese vielfach gekrümmte Fläche hat aber wiederum eine periodische dreidimensionale Struktur.

Beim einfachsten Beispiel stellt man sich vor, dass man viele Kugeln nimmt und stapelt. Man könnte Orangen nehmen und die Orangen erst einmal auf dem Tisch auslegen. Und dann immer in die Mulden, die zwischen drei Orangen sich bilden, dann eine neue Orange legen.

Sprecherin: Allerdings bekommt man nach diesem Rezept erst einmal nur eine Menge sauber geschichtete Kugeln.

Als nächsten Schritt muss ich jetzt alle Kugeln zu einer Fläche verbinden. Und dazu gehe ich immer an die Punkte, wo sich zwei Kugeln berühren, schneide da auf jeder Seite ein kleines Loch aus und stecke soz. eine Röhre, die die beiden Löcher verbindet, da durch. So dass ich jetzt mit zylinderförmigen Elementen die Kugeln verbinde. Und dann kriege ich am Schluss eine Struktur, eine Fläche, alles ist durchgängig, wo ich immer von einer zylinderförmigen Struktur zu einer kugelförmigen Struktur komme, dann wieder über eine zylinderförmige zur nächsten kugelförmigen Struktur gehe. So kann ich den ganzen Raum durchqueren, immer auf der gleichen Fläche.

Sprecherin: Um so einen Flächenkristall zu erhalten, müssen die Forscher aber nicht kleinste Bläschen stapeln und sie anschließend aufschneiden. Es reicht, Wasser und ein Lipid zusammenzubringen. Bei der richtigen Lipidkonzentration und einer bestimmten Temperatur entstehen dann solche Strukturen von selbst.

Sprecher: Auch in der Natur gibt es Flächenkristalle. Etwa das endoplasmatische Retikulum, ein größerer Membrankomplex in lebenden Zellen. Er besteht aus einem System von winzigen Röhren, die sich an Kreuzungspunkten treffen. Aber die Wissenschaftler sind auch stark an künstlichen Flächenkristallen interessiert. Z.B. wenn sie die Form von Proteinen untersuchen wollen. Dazu müssen sie die Proteine kristallisieren.

Proteinkristallisation ist für viele Proteine sehr schwierig und ungelöst. Aber eine neuartige Entwicklung ist, dass man eben diese Flächenkristalle im Reagenzglas herstellt, so wie sie im Prinzip auch in der Zelle vorhanden sind, und dann darin die Proteine kristallisiert und so die Strukturaufklärung für Proteine vorantreiben kann.

Sprecherin: 4. Fraktale

Ähm, Fraktale?

Sprecherin: Tja, dazu schweigt Euklid, denn mit diesen Strukturen beschäftigt man sich erst seit relativ kurzer Zeit. Den Namen Fraktale gibt es sogar erst seit rund 25 Jahren.

Meine Damen und Herren, wir erreichen jetzt Hannover.

Sprecher: Vom riesigen Fabrikgelände der Continental AG, die unter anderem Reifen und Gummiprodukte herstellt, bekommt man kaum etwas zu sehen, wenn man die Werkstoff-Forscher besucht. Ihre Arbeitsräume liegen nämlich direkt an einem der Fabriktore.

Sprecherin: Bei Conti erfährt man, dass es in der Welt kleinster geometrischer Strukturen nicht immer so schön regelmäßig zugeht, wie sich das Platon, Archimedes und Co. vorgestellt haben. Die Dinge sind nun mal nicht nur aus Hexagonen oder Oktaedern aufgebaut oder sehen aus wie glatte Kugeln oder Zylinder. Es gibt zum Beispiel Kettenmoleküle, die wirken wie achtlos verknäult; und Partikel, die eine irreguläre, völlig zerklüftete Oberfläche besitzen.

Sprecher: Die Materialforscher der Continental AG haben permanent mit beidem zu tun. Denn es spielt eine entscheidende Rolle in Gummimischungen für Reifen.

Sprecher: Unablässig zieht die Prüfmaschine 24 schmale Gummistreifen in die Länge. 100 Mal pro Minute werden sie kräftig gedehnt. An jedem Streifen läuft ein kleiner Zähler mit - solange bis das Gummi reißt. Die Ingenieure wollen herausfinden, wie belastbar die unterschiedlichen Gummimischungen sind, die sie kreieren.

Sprecherin: Viele der Gummi-Eigenschaften werden dadurch bestimmt, auf welche Weise die verknäulten Kautschuk-Moleküle, die Polymere, mit Füllstoffen - meistens besonderen Rußpartikeln - zusammenspielen. Hier setzen Spezialisten wie Gert Heinrich an, um Autoreifen zu verbessern.

Man möchte möglichst ein Material haben, also einen Reifen mit einem Material in der Lauffläche, die einen niedrigen Rollwiderstand hat. Neueste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass es hier sehr wichtig ist, eine sehr intensive Wechselwirkung zwischem dem Polymersystem in dem Material und dem Füllstoffgefüge möglichst auf den nanoskaligen und mikroskopischen Längenskalen zu erzeugen.

Sprecher: Und diese Wechselwirkung ist davon abhängig, wie die Oberfläche der Füllstoff-Partikel aussieht. Da diese Oberfläche sehr unregelmäßig ist, kommen die Conti-Forscher mit normaler Geometrie à la Euklid nicht weiter. Sie müssen für ihre Berechnungen auf fraktale Geometrie umsteigen.

Sprecherin: Um irreguläre Strukturen zu beschreiben, arbeitet die fraktale Geometrie mit gebrochenen Dimensionen. Der Begriff Dimension wird dabei allerdings anders verwendet, als wir ihn normalerweise kennen. Der Wert der Dimension gibt hier an, wie zerklüftet ein Partikel ist. Erst vor kurzem wurden diese Werte für die Spezial-Ruße ermittelt.

Man hat herausgefunden, dass die sogenannte fraktale Oberflächen-Dimension von Rußen einen Wert annimmt, der zwischen den glatten Dimensionen zwei und drei liegt. Zwei wäre praktisch eine glatte Oberfläche und drei wäre schon wieder ein voluminöses Gebilde. Je höher dieser Wert ist, je irregulärer also diese Oberfläche dieses Füllstoffes Ruß z.B. ist, umso besser können dann die Polymere an diese Oberfläche andocken, können eine festere Polymer-Füllstoff-Wechselwirkung ausprägen.

Sprecher: Dementsprechend verändern sich die Eigenschaften eines Reifens. Dass eine solch intensive Wechselwirkung zustande kommt, liegt auch daran, dass die Kautschuk-Polymere ebenfalls eine ganz unregelmäßige Struktur haben. Diese Struktur untersuchen die Conti-Forscher gemeinsam mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz.

Sprecherin: Polymere, wie z.B. die Kunststoffe Polyethylen und Polypropylen, bestehen aus vielen einzelnen Grundmolekülen, die sich zu langen Ketten verbinden. Doch die Ketten sind nicht etwa gerade gestreckt. Max-Planck-Forscher Thomas Vilgis:

Wenn Sie sich einen völlig Betrunkenen vorstellen, der von A nach B gehen möchte und das aber nicht mehr kann in einem gerichteten Weg, sondern einfach so betrunken ist, dass er den nächsten Schritt ausführt ohne sich zu erinnern an die Richtung des vorhergehenden Schritts, bekommen Sie einen völlig zufälligen Weg zwischen diesen Punkten. Und so kann man sich das etwa vorstellen: die Gestalt dieser Polymere ist eben auch sehr irregulär, sehr zufällig.

Sprecherin: Und das kommt daher, dass die einzelnen Monomere, die Grundmoleküle, die die Kette bilden, frei drehbar sind.

Sprecher: In welche Richtung sie zeigen, wenn sie sich zu einem Polymer zusammenfügen, hängt von Stößen ab, die sie von den Flüssigkeitsmolekülen in ihrer Umgebung erhalten. Diese Moleküle führen absolut zufällige Zitterbewegungen aus. Man spricht von Brownscher Bewegung.

Sprecherin: Auch die Natur kennt Polymere, z.B. Proteine. Hier sind die Formen allerdings nicht zufällig. Proteine müssen eine bestimmte Gestalt haben, damit sie eine korrekte biologische Funktion erfüllen können.

Sprecher: Der Trick der Natur ist, dass sie die Ketten nicht aus einer einzigen Art von Molekülen bildet, sondern aus ganz unterschiedlichen, nämlich verschiedenen Aminosäuren. Einige dieser Aminosäuren sind wasserlöslich, andere hingegen wasserunlöslich. Sie hängen in einer ganz bestimmten Sequenz, also Abfolge aneinander, was die Form entscheidend beeinflusst.

Nun ist es genau das, was man vorher bei diesen synthetischen Polymeren nicht hat, dass diese Polymere im wesentlichen in sehr grober Näherung eine Kugelgestalt haben, wo einfach diese wasserunlöslichen Bestandteile, die Monomere alle im Inneren dieser Kugel angeordnet sind und alle wasserlöslichen Bestandteile an der Oberfläche diese Kugel angeordnet sind, einfach deshalb, weil dieses Protein sich in Wasser, sprich in physiologischer Kochsalzlösung lösen muss im biologischen System. Dort hat es die Natur tatsächlich geschafft, diese Vielzahl von diesen fraktalen Strukturen zu überlisten für lange Moleküle, indem sie bestimmte Sequenzen herausgebildet hat, die es einfach erlauben, dass dieses Protein in eine bestimmte Konformation geht und das ist eine kompakte Kugelgestalt.

Sprecherin: Es gelingt der Natur hier so etwas wie ein Übergang von der fraktalen zur uns vertrauten euklidischen Geometrie. Jener Geometrie der Flächen, Vielecke und Kugeln, mit der schon die griechischen Philosophen und Wissenschaftler die Welt beschreiben und erklären wollten.

Sprecher: Hexagone für photonische Kristalle, Oktaeder und andere platonische Körper für Nanoobjekte, Kugeln, Zylinder und ähnliches bei der Erforschung von Zellstrukturen.

Möge keiner, der nicht der Geometrie kundig ist, hier eintreten.



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